| |

Ein Wort erobert die Welt

Korrekturen am Laptop

Okay, wie beginnen wir diesen Text? Mit einem Rätsel. Alle kennen es, alle sagen es. Es ist eines der weltweit am häufigsten verwendeten Wörter und war das erste auf dem Mond gesprochene Wort. Obwohl seine Bedeutung als relativ gering erscheint, verstehen es alle — überall. So kommt es in vielfältigen Kontexten zum Einsatz: Auf eine Frage oder Aussage hin kann es Zustimmung ausdrücken und sogar Begeisterung, jedoch vermag es genauso, Mittelmäßigkeit anzudeuten, ohne eine Abwertung zu suggerieren. Außerdem lässt sich damit fragen oder um Einverständnis bitten. Es kann Reden einleiten, Pausen überbrücken, Themenwechsel herbeiführen oder Gespräche beenden. Meistens ist es ein Adjektiv oder ein Adverb, manchmal kommt es aber auch als Nomen vor.

Na, schon die Lösung parat?

Dieses Zauberwörtchen lautet okay. Es trat angeblich das erste Mal vor rund 175 Jahren in den Vereinigten Staaten in Erscheinung. Während in manchen Kreisen davon ausgegangen wird, okeh sei ursprünglich ein indianisches Wort mit der Bedeutung es ist so gewesen, gibt es noch eine andere Variante, die den Ursprung des Wortes belegen will: So habe sich unter Zeitungsleuten Mitte des 19. Jahrhunderts ein Trend zu raffinierten Abkürzungen entwickelt, die mit Vorliebe falsch geschrieben worden seien. Zur Belustigung der Leser*innen sei im Jahr 1839 das erste Mal das Wort o.k. in der Boston Morning Post in einem Artikel von Charles Gordon Green erschienen. O.k. für all correct statt all correct war zwar ein flacher Witz, soll aber weitreichende Folgen gehabt haben: Im darauffolgenden Jahr nutzte der Präsidentschaftskandidat Martin van Buren, der von seinen Anhänger*innen auch Old Kinderhook genannt wurde, die Abkürzung für seine Zwecke. OK wurde zum Emblem seiner Propaganda.

Dieser Interpretationsansatz geht davon aus, dass sich ein zunächst nur geschriebenes Wort in der mündlichen Sprache durchgesetzt hat. Historisch gesehen ergeben solche Annahmen allerdings nicht besonders viel Sinn, da es so gut wie immer andersherum funktioniert: Die gesprochene Sprache geht der schriftlichen voraus – manchmal sogar um Jahrhunderte. Umso fragwürdiger ist es deshalb, dass aufgrund eines einzigen Zeitungsartikels ein Wort eine derartige Prominenz entwickeln konnte. Müsste okay nicht also zuerst in der gesprochenen Sprache aufgetaucht sein? Mit Blick auf die USA des frühen 19. Jahrhunderts begeben sich Interessierte in die Geschichte der Sklaverei. Zwischen 1499 und 1820 wurden Menschen aus Nordwestafrika über den Ozean nach Amerika deportiert und gezwungen, als Sklavinnen und Sklaven zu arbeiten. Die Lingua franca, die gesprochene Verkehrssprache, war Wolof. Sie zeichnete sich unter anderem durch Interjektionen aus. Das sind Wörter, die in Gesprächen zur Verdeutlichung von Empfindung und Anteilnahme eingeworfen werden. Im Deutschen zum Beispiel lassen sich aha, ach so und hm mit dieser Intention verwenden, begleitet von Gesten wie Kopfschütteln und Nicken. Die Bestätigung der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners wird in der Linguistik auch als Backchanneling bezeichnet. So wird der sprechenden Person während der Unterhaltung deutlich, dass jemand ihr aufmerksam zuhört, ohne sie zu unterbrechen.

In der Sprache der Versklavten in den Vereinigten Staaten war einer der häufigsten auf diese Weise verwendeten Begriffe das Wort waw-kay. Wenn der Plantagenbesitzer seine Befehle erteilte und den Menschen auf dem Feld mit der Peitsche drohte, wurde ihm ein waw-kay entgegengebracht So ergibt sich die Annahme, die der Linguist Paul Werth formulierte: dass okay in seiner mündlichen Ursprungsform mit dem Beginn der Sklaverei in den Vereinigten Staaten Fuß fasste – aber natürlich nicht in der Sprache der Weißen und somit erst recht nicht in schriftlicher Form. Vielmehr ist anzunehmen, dass das Wort ganz allmählich in die gesprochene Sprache der Abkömmlinge Christoph Kolumbus’ überging, sodass sein sklavischer Ursprung verschleiert wurde. Waw-kay beziehungsweise okay war wohl schon Teil der gesprochenen Sprache, als es vom Abkürzungstrend erfasst wurde. Und mit den Buchstaben o und k fand es schließlich auch seinen Weg in die Zeitungen.

Dass die witzige Geschichte über die Boston Morning Post hinfällig ist, beweist eine weitere wissenschaftliche Tatsache: Das Backchanneling-Phänomen tritt nämlich weitaus häufiger im amerikanischen Englisch auf als im britischen und ebenso öfter im südafrikanischen Afrikaans als im europäischen Niederländisch. So ist davon auszugehen, dass mit der Deportation von Versklavten nach Amerika aus Versehen auch ein Teil ihrer Sprache exportiert wurde. Wie kommt es aber, dass sich trotz all dieser Belege die wenig plausible Annahme verbreiten konnte, das Wort okay sei während einer Zeitungsklamauk-Reihe um Abkürzungswitze entstanden? Mit dem Einzug des Worts nicht nur in die englische Sprache wuchs das Interesse an seinem Ursprung. Allerdings, so auch Paul Werth, Setzten sich Forscher*innen nur mit Quellen aus weißer Hand auseinander, sodass jede Dokumentation, die behauptete, okay sei nicht auf einen weißen (vermutlich heterosexuellen) Amerikaner zurückzuführen, unbeachtet blieb. Dass ein vermeintlich schwarzes Wort die Sprache der Weißen erobert hatte, wollte sich niemand eingestehen. Zu schön war die Geschichte über die Boston Morning Post und ihre einfallsreichen Wortspiele.

Ähnliche Beiträge