Die deutsche Sprache – ein wahrlich umfangreiches Gebilde

Buchdruck

Wie viele Wörter umfasst eigentlich die deutsche Sprache? Es ließe sich der Versuch starten, alle zu zählen. Das würde sich aber schon nach kürzester Zeit als eine wahre Sisyphusarbeit erweisen, denn welche Wörter sind in den Zählvorgang einzubeziehen? Sollten zum Beispiel das Wort zählen und das Wort zählbar beide in die Liste aufgenommen werden? Darüber sind sich selbst Fachleute nicht einig, weshalb der Versuch einer Zählung des gegenwärtigen deutschen Wortschatzes auch jede Menge unterschiedliche Zahlen zutage fördert.

Ein Blick ins Wörterbuch könnte helfen – aber welches ziehen Interessierte da am besten zurate? Der aktuelle Rechtschreib-Duden (Band 1) beispielsweise enthält nur in sehr geringem Umfang fachspezifische Wörter. Fachbegriffe aus der Chemie oder der Informatik sind hier kaum zu finden. Laut Winter (1986, deutscher Sprachwissenschaftler) bietet allein die chemische Fachsprache 20 Millionen Benennungen. Aber nicht nur Fachchinesisch (beziehungsweise -deutsch) kommt in Standardwörterbüchern so gut wie gar nicht vor. Auch Wortzusammensetzungen, Komposita genannt, Ableitungen und Wortneubildungen fehlen. Viele Wortbildungen sind außerdem situationsabhängig und entstehen einmalig und spontan. Zum Beispiel erzählen wir von einem klassenfahrtsmäßigen Höllenausflug, wenn jemand uns nach dem letzten Familienurlaub fragt. Solche Ausdrücke finden sich in keinem Wörterbuch.

Der Wortschatz im Wandel

Hinzu kommt, dass unsere Sprache einem stetigen Wandel unterliegt und Wörter, die heute noch in Verwendung sind, vielleicht bald durch neue abgelöst und nicht mehr gebraucht werden. Das liegt unter anderem darin begründet, dass neue Objekte neue Bezeichnungen brauchen oder andersherum alte Gegenstände nicht mehr zum Einsatz kommen. Felleisen zum Beispiel ist ein Wort, das heute sehr selten auftaucht. Ursprünglich bezeichnete es den Lederrucksack, den Handwerksgesellen mit sich trugen. Abgelöst durch oft aus Plastik gefertigte (Schul-)Rucksäcke, Ranzen und Tornister ist das Felleisen heute kaum in Gebrauch, weder als Gegenstand noch als Begriff.

Genauso finden Wörter aus anderen Sprachen Eingang in den deutschen Wortschatz. Exemplarisch anführen lassen sich Portemonnaie aus dem Französischen und technische Begriffe aus dem Englischen wie Internet, DVD und Handy. Kaum jemand würde heute im „weltweiten Verbund aus Rechnernetzwerken” nach „Datenträgern mit digitalen audiovisuellen Sequenzen” oder nach einem neuen „nicht ortsgebundenen Telefon im Taschenformat” suchen. Aufgrund all dieser Faktoren, die auf unseren Wortschatz einwirken, kann kein Wörterbuch ihn je vollständig erfassen. Zwar lassen sich die in Wörterbüchern vorhandenen Wörter zählen, der wahre Umfang des deutschen Wortschatzes kann aber nur geschätzt werden.

Wie viele Wörter sind überhaupt vonnöten?

Um nun aber doch mal eine Zahl zu nennen, sei auf den „Ersten Bericht zum Zustand der deutschen Sprache” verwiesen: Dieser erschien 2014 und schätzt den Wortschatz auf 53 000 000 Wörter. Braucht es so viele?

Um die deutsche Sprache verstehen zu können, ist es wichtig, zu wissen, welche Wörter im Wortschatz besonders häufig vorzufinden sind. Der vorliegende Text beispielsweise macht es erforderlich, den Begriff Wortschatz zu kennen. Allgemein sind es aber kaum Nomen, die in der deutschen Sprache zu den meistgebrauchten zählen. Die häufigsten zehn sind (nach Stand von 2001) folgende: der, die, und, in, den, von, zu, das, mit und sich. Die Plätze 11 bis 50 klingen ähnlich monoton, denn es handelt sich vor allem um einsilbige Artikel, Präpositionen und Partikel. Weiterführende wissenschaftliche Betrachtungen des Wortschatzes führten jedoch zu einem interessanten Ergebnis: In einer Studie, die der Erfassung des deutschen Grundwortschatzes diente, wurde festgestellt, dass der Mensch nur etwa 1285 Wörter kennen muss, um 85 Prozent der Texte verstehen zu können. Natürlich sind hier Fachtexte ausgenommen, aber dennoch lassen diese Erkenntnisse hilfreiche Schlussfolgerungen dahingehend zu, welche Teile des Wortschatzes besonders relevant sind. So haben vor allem Deutschlehrende, aber auch -lernende den Vorteil, sich der Sprache gezielter zu nähern. Und fünf Millionen Wörter könnte sich ja eh niemand merken.

Wer mehr wissen möchte, sei auf folgende Quelle verwiesen:

Theodor Lewandowski (1984): Linguistisches Wörterbuch I. 4., neu bearbeitete Auflage. Schleswig: Quelle & Meyer, Seite 375 (Artikel: Grundwortschatz)

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